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Eine junge Firma konzipiert Reha-Programme in der virtuellen Realität – Allein für die Idee und ihren Mut gab es jetzt schon eine Auszeichnung

Das ist wohl die ungewöhnlichste Geschichte einer Firmengründung: Bis zum Alter von 20 Jahren litt der Heidelberger Julian Specht unter Epilepsie. Dann ließ er sich am Gehirn operieren und alles ging gut, zwei Wochen später konnte er weiterstudieren. Allerdings fand er die Reha für die Hirnoperierten nicht besonders überzeugend: Die Patienten arbeiteten mit Papier und Stift und meist ging es darum, sich Zahlenfolgen oder Nummernschilder einzuprägen.

Nun will er mit einer neuen Firma dafür sorgen, dass es bessere und lebensnähere Trainingsmöglichkeiten für all diejenigen gibt, deren Gehirn durch Verletzungen oder Schädigungen beeinträchtigt ist, „die nicht so viel Glück hatten wie ich“. Und mit Barbara Stegmann (26) fand der heute 24-Jährige eine Gleichgesinnte. Beide lernten sich in der SRH-Hochschule kennen: Sie studierte angewandte Psychologie, er Wirtschaftspsychologie. Bei einer Gruppenarbeit kamen sie ins Gespräch, da ging es auch um Spechts einstiges Leiden. Und Stegmann, die sowieso gerne Fragen stellt, wurmte: „Wieso gibt es bei so etwas keine gute Reha?“ Und wieso hat das Gros der Patienten Schwierigkeiten im Alltag? Da geht es um für Gesunde ganz banale Fragen: Wie mache ich mir einen Kaffee? Und manche mit neurologischen Schäden stehen dann vor der Kaffeemaschine und wissen nicht, was zu tun ist.

Anfangs dachten beide Studenten noch über ein Forschungsprojekt nach, aber irgendwann bei einem Vortrag in der SRH über Firmengründer kam ihnen die Idee: Aus unseren Fragen machen wir eine Firma. Ende 2017 lernten sie bei einem Firmengründerunterstützungsprogramm des Darmstädter Unternehmens Merck VR-Brillen kennen. VR steht für „Virtual Reality“ und ist nichts anderes als eine computererzeugte Welt, in der man sich bewegen kann – vor allem die Computerspieler greifen gerne darauf zurück. Der Vorteil, gerade für die Reha: Mit diesen Brillen „beamen“ sich Patienten in eine fremde Welt, lösen dort praxisnahe Aufgaben. Durch diese „Lernspiele“ können sich die Nervenzellen neu verknüpfen – das Gehirn erholt sich.

Allerdings blieben diese Brillen lange ein Nischenprodukt: Sie kosteten zu viel und brauchten immer eine Verbindung zu einem Computer, dessen Rechenkapazitäten die aufwändige grafische Welt auf die VR-Linsen zaubern mussten. Erst in den letzten Jahren kamen neue Modelle auf den Markt, die keine Verbindung zu einem PC brauchen, die mobil und mit gut 500 Euro relativ günstig sind. Nun ging es für Stegmann und Specht darum, ein Trainingsprogramm zu basteln. Dazu muss man eine virtuelle (also nur im Computer erzeugte) Welt konstruieren, in der man sich schnell zurechtfindet. Bei der Technik half ein Programmierer, aber die Idee und die Ausarbeitung kamen von Stegmann und Specht. Dabei orientierten sie sich an Alltagssituationen. In einer ersten Version ging es um einen Einkauf in einem virtuellen Supermarkt, aber gerade arbeiten sie an einem Gewächshaus-Szenario. Insofern haben die beiden zwar eine Firma, aber noch kein Produkt, das sie verkaufen können; möglicherweise kommt das erst Anfang 2021. Aber ganz wichtig sind ihnen klinische Studien, die belegen, dass ihr Trainingsprogramm auch einen therapeutischen Nutzen hat. Und wenn der nicht erwiesen wäre – wovon sie momentan nicht ausgehen –, dann würden sie nicht zögern, ihre Firma „Living Brain“ dichtzumachen.

Aber immerhin schaffte „Living Brain“ – das Unternehmen ist im SRH-Gründerzentrum auf dem alten Druckmaschinengelände am Hauptbahnhof – in ein Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums und erst vorletzte Woche waren die beiden in Berlin, da sie als einer der insgesamt 32 „Kultur- und Kreativpiloten 2019“ von der Bundesregierung ausgezeichnet wurden. Die diversen Förderungen sind wichtig, denn mit viel Geld von Hause aus sind die Firmengründer nicht gesegnet.

Die beiden vertreten bestimmt und eloquent ihr Anliegen, aber sind sie nicht doch etwas zu jung? „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, fragt Specht rhetorisch. Und Stegmann ergänzt: „Ich hätte mich schon geärgert, wenn jemand anderes unsere Idee auf den Markt gebracht hätte.“ Ihr junges Alter habe auch einen Vorteil: „Wir können noch Fehler machen, im schlimmsten Fall haben wir zwei Jahre verloren. Und den Master kann man immer machen.“

 

Quelle:

Barbara Stegmann und Julian Specht mit einer VR-Brille, auf der ein von ihnen konzipiertes Trainingsprogramm läuft: Es simuliert die Arbeit in einem Gewächshaus (zu sehen auf dem Monitor). Foto: Rothe

https://www.rnz.de/nachrichten/heidelberg_artikel,-heidelberg-wie-man-spielerisch-das-geschaedigte-hirn-heilt-_arid,481510.html

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