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Wie hat Anne Frank im Hinterhaus gelebt? Mit 3-D-Brillen und einer Virtual-Reality-App gibt es für Gedenkstätten ganz neue Möglichkeiten, Besuchern zu zeigen, was längst vergangen ist. Doch wie weit darf die Rekonstruktion gehen?

Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft: vom digitale Behördengang, über den digitalen Schulunterricht, bis zur digitalen Erinnerungsarbeit. Auch für Museen und Gedenkstätten bieten neue Technologien ganz neue Möglichkeiten, etwa Virtual Reality: Dabei können sich Besucher mit einer Reality-Brille in einer digitalen 3-D-Welt bewegen. Diese werden inzwischen auch von Gedenkstätten genutzt. Genauso wie Augmented Reality, also eine Technologie, bei der Nutzer am Smartphone oder Tablet zusätzliche Informationen in einer realen Welt erhält. Moderne Techniken ermöglichen es, virtuelle Welten zu erschaffen. Sie können aber auch den Schrecken der NS-Diktatur erlebbar machen. 

Schrecken der NS-Diktatur erlebbar machen

Ein Aktenschrank schiebt sich wie von selbst beiseite, dahinter öffnet sich eine Geheimtür ins Hinterhaus. In einem der Räume hängt ein Fahrrad an der Wand, in einer Kammer stehen zwei Betten und auf einem kleinen Schreibtisch liegt ein kariertes Tagebuch, das Tagebuch von Anne Frank. Wer das Anne-Frank-Haus in Amsterdam als Tourist besucht, sieht all das nicht. 

Das Hinterhaus, in dem sich Anne Frank in den 1940er Jahren vor den Nationalsozialisten versteckt hatte, ist nicht möbliert – auf Wunsch des Vaters von Anne Frank, der den Holocaust überlebt hatte. Eine Virtual-Reality-App, mit der sich der Besucher durch die Räume in 3-D navigieren kann, lässt jedoch nacherleben, wie Anne Frank wohl dort gelebt hat. Virtual Reality bietet die Möglichkeit in vergangene Zeiten einzutauchen, die Zeit zurückzudrehen und in 3-D möglichst realistisch und originalgetreu sichtbar zu machen, was so nicht mehr existiert. 

Wie weit darf Rekonstruktion gehen?

Aber neue Möglichkeiten werfen auch Fragen auf: Wie weit darf die Rekonstruktion gehen? Wie realistisch darf gerade die NS-Geschichte nachgebaut werden? Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens Christian Wagner, zieht hier eine klare Grenze: 

„Wir haben uns aus guten Gründen in der Gedenkstättenarbeit in den 90er-Jahren schon dazu entschieden, sehr sehr vorsichtig mit Rekonstruktionen baulicher Art umzugehen, weil die baulichen Relikte, nicht nur Relikte sind, sondern Beweismittel, Beweismittel der Verbrechen. Und in dem Augenblick, wo man anfängt, Beweismittel nachzubauen, fälscht man potenziell Geschichte. Das heißt, wir bauen Geschichte nach, so wie wir sie imaginieren.“ Jens Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Das Projekt des Anne-Frank-Hauses sieht Wagner deshalb kritisch. Er hält es für falsch, Besuchern von Gedenkstätten zu suggerieren, sie könnten sich in historische Zusammenhänge zurückversetzen. Noch kritischer wird es in seinen Augen, wenn mithilfe von Virtual Reality ein emotionales Nacherleben ermöglicht werden soll.

Stasi-Gedenkstätte stoppt Projekt, Gefangenschaft nachzufühlen

In der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen konnten Besucher eine Zeit lang mit einer 3-D-Brille in die Rolle eines politischen Gefangen schlüpfen und selbst erleben, wie es sich angefühlt haben kann, in dem Gefängnis einzusitzen. In dem 360-Grad-Film führten Schauspieler das Verhör, setzten unter Druck, demütigten. Inzwischen hat die Gedenkstätte dieses Projekt gestoppt: Nach Einschätzung des Gedenkstättenleiters Helge Heidemeyer werden die Besucher zu sehr überwältigt. Es bestehe die Gefahr, dass Besucher emotional überrumpelt werden. Ein Ausschnitt des Projektes ist noch im Internet zu finden. 

Mit Blick auf virtual Reality-Projekte verweist der Politikwissenschaftler Thomas Altmeyer vom Studienkreis Deutscher Widerstand auf den sogenannten Beutelsbacher Konsens aus den 1970er Jahren, der bis heute die Grundregeln der politischen Bildung festhält: „Es gibt ein Überwältigungsverbot und deswegen geht Bestimmtes einfach nicht. Und es kann kein Nachspielen oder Nachempfinden von Vergangenheit angestrebt werden, weil es nicht funktioniert. Es ist total übergriffig.“

Nachspielen von Geschichte sei pietätlos gegenüber den Opfern

Das heißt: Nicht jede Möglichkeit, sollte in der Erinnerungsarbeit komplett ausgeschöpft werden. Gerade Virtual Reality, die ein völliges Eintauchen und Nacherleben von Terror und Diktaturen ermöglichen könnte, sei ethisch höchst problematisch. 

Ein Nachspielen der Geschichte sei auch pietätlos gegenüber den Opfern. Denn mehr als 50.000 Menschen wurden wie Anne Frank im Konzentrationslager Bergen-Belsen von den Nationalsozialisten getötet. Von dem ehemaligen Konzentrationslager ist heute nicht mehr viel zu sehen. Auf dem Gelände wachsen Bäume und eine Wiese. 

„Erweiterte Realität“ wird in Gedenkstätte Bergen-Belsen genutzt

Wissenschaftler haben deshalb eine App entwickelt. Mit Hilfe der sogenannte Augmented Reality, also der „erweiterten Realität“ erkunden Besucher mit einem Tablet das Gelände, erklärt der Direktor der Gedenkstätte Jens-Christian Wagner. Mit der App können sich Besucher die ehemaligen, nicht mehr vorhandenen baulichen Strukturen des Lagers vergegenwärtigen, das aber in einer ganz bewusst abstrakten Formen, sodass den Besuchern nicht vorgegaukelt wird, sie sähen etwas historisch Reales. Denn das wäre dann ein Verstoß gegen das Rekonstruktions-Verbot.

Die Idee hinter der App: Die Besucher erkunden den Ort und erhalten über ein Tablet Grafiken sowie Hintergrundinformationen und historisches Quellenmaterial, um sich so selbst die NS-Geschichte zu erschließen. 

Zeitzeugen-Berichte sind subjektiv und lückenhaft

Und die Gedenkstätte Bergen-Belsen ist, was Anwendungen der Augmented Reality angeht, längst keine Ausnahme mehr. In Berlin etwa rekonstruiert die App „Mauerschau“ die Geschichte der Berliner Mauer – mit Fotos, Videos und Zeitzeugenberichten, die auf Smartphone oder Tablet angesehen werden können. Die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau hat zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk einen virtuellen Rundgang über die Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner erarbeitet. Historische Fotos können hier auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte an Originalschauplätzen positioniert werden, ergänzt wird es durch Zeit- und Augenzeugenberichte. Ganz bewusst sind diese Berichte subjektiv und lückenhaft, um unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen.

Quelle:

https://www.br.de/nachrichten/kultur/memorytainment-digitalisierung-in-der-erinnerungsarbeit,SX12oMA

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