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Eva Wolfangel ist Tech-Journalistin und berichtet vor allem über Themen rund um Virtual Reality (VR). Im Vorfeld ihres Vortrags auf der re:publica hat sie mit MEEDIA über den Sinn von virtuellen Welten für den Journalismus gesprochen. Außerdem verrät Wolfangel, warum Social VR für den Durchbruch der Technik sorgen könnte.

Frau Wolfangel, im Vorlauf dieses Interviews haben Sie mir erzählt, dass Social VR für den Durchbruch verantwortlich sein könnte und irgendwann die “Killer-App” liefert, die VR womöglich massentauglich macht. Nun arbeiten Medienhäuser wie die New York Times, der Guardian, Arte und der WDR hauptsächlich an VR-Reportagen und Dokumentationen. Glauben Sie, dass diese Genres keine Zukunft haben?
Persönlich habe ich dazu noch keinen Zugang gefunden. Es gibt ja die zwei Dinge: 360-Grad-Videos und echte VR. Ersteres finde ich langweilig. Beim ersten Mal hat es noch den Wow-Effekt, weil man überall hin gucken kann. Und dann wird schnell deutlich, dass das Geschehen doch nur in eine Richtung geht. Ich habe nichts davon, in alle Richtungen zu gucken. Ich stehe da wie ein Geist in einer Szene, man wird nicht gesehen und kann weder etwas verändern noch mitmachen oder entscheiden, wohin man läuft. VR-Geschichte wie die bekannte Gefängniszelle vom Guardian finde ich dagegen beeindruckend, weil ich ein Gefühl bekommen habe, dass es in so einer Zelle wirklich schrecklich ist. Aber gleichzeitig habe ich mich gefragt, ob das von der Stilform nicht eher ein Kommentar ist als eine Reportage.

Warum soll es sich dabei um einen Kommentar handeln?
Deshalb ein Kommentar, weil das Stück so sehr mit der Empathie der Nutzer spielt und das glaube ich ist ein Punkt, an den man denken muss, wenn man VR und 360-Grad nutzt. Wer einmal in dieser VR-Gefängniszelle saß, kann danach nicht mehr sagen, dass er Einzelhaft gut findet. Deshalb ist es ein Stück weit auch manipulativ, ob die Beeinflussung nun positiv oder negativ ist.

VR gilt einerseits als „Empathiemaschine“, weil man Orte sieht und Erfahrungen macht, die einem sonst verborgen bleiben würden; andererseits gibt es dieses voyeuristische Moment, weil man beispielsweise Kriegsgebiete gefühlt hautnah erlebt und dann die Brille einfach absetzen kann. Denken Sie, dass es für Journalisten einen Ethik-Kodex für VR braucht?
Wir müssen uns auf jeden Fall darüber Gedanken machen, ob wir echte VR im Journalismus einsetzen wollen. Denn neutral ist es nicht.

Ist ein Artikel aber auch nicht.
Stimmt, dort hat der Leser ebenfalls die subjektive Sicht des Journalisten. Aber die Empathie, das Gefühl des Vor-Ort-Seins wirkt beim Menschen stärker, als würde man lediglich darüber lesen. Deshalb kann es auch manipulativer sein und dessen müssen sich Journalisten bewusst sein.

So wie Ihnen geht es auch vielen anderen Otto Normalverbrauchern. Sie finden keinen Zugang zu VR. Woran liegt das?
Mich spricht vor allem Social VR an, Spiele hingegen weniger: ich bin einfach keine Gamerin. Ein Hindernis ist aktuell sicher, dass die Hardware sehr teuer ist und es teilweise kompliziert ist, sie aufzubauen. Dazu braucht man eigentlich Hilfe. Außerdem sind die VR-Brillen relativ schwer. Das stört mich auch. Nach maximal 90 Minuten in einer virtuellen Welt habe ich genug. Dann merke ich, dass mein Kopf immer schwerer wird und der Hals angestrengt ist. Aber das sind alles Dinge, die sich verändern werden. Es gibt jetzt schon erste Headsets, die ohne Kabel arbeiten. Das bringt enorm viel Erleichterung und der Preis wird auch sinken.

Ihr Zugang zu VR läuft über die soziale Komponente. Erklären Sie bitte kurz, was Social VR ist.
Bei Social VR treffe ich Leute in der virtuellen Welt. Ich habe angefangen mit AltSpace; später kamen RecRoom und VRChat (Apps für Social VR, Anm. d. Red.). Es gibt verschiedene Social VR-Treffpunkte und da hatte ich das Gefühl, wenn etwas die Welt verändert, dann das. Dabei spricht man mit Leuten, sitzt gemeinsam am Kaminfeuer oder spielt zusammen.

Was fasziniert Sie konkret an Social VR?
Meine Erfahrung in Social VR ist, dass es als Ersatz fürs Chatten und für Video-Telefonie dienen kann. Diese Form ist am nächsten dran am echten Leben. Deshalb ist es womöglich die perfekte zweite Wahl nach der Realität, weil man miteinander interagiert. Außerdem denke ich, dass sie sich die Nutzungssituation, jeder guckt sich alleine irgendeinen 360-Grad-Film oder eine VR-Experience an, nicht durchsetzen wird. Menschen brauchen gemeinsame Interaktionen und Erfahrungen. Ein Forscher hat mir erzählt, dass eben jenes Gefühl, des sich vor Ort-Fühlens erst durch Handlungen und Interaktion entsteht, wie in der echten Welt auch.

Manche US-Unternehmen arbeiten bereits an Social VR-Apps. Facebook hat sein Projekt „Spaces“ genannt. Sie haben die Vorteile schon hervorgehoben. Wie können Redaktionen Social VR nutzen?
Kürzlich habe ich ein Projekt gestartet, das ich beim Media Lab Bayern vorgestellt habe.

Was ist die Idee dahinter?
Es handelt sich um ein interaktives, journalistisches Format in VR. Nutzer treffen sich mit anderen Menschen an einem VR-Treffpunkt zu einem bestimmten Thema. Die Journalisten laden dazu Experten ein und interviewen sie; der VR-Raum ist an das Thema angepasst und hilft, es genauer zu ergründen.

Zum Beispiel?
Warum fühlt sich VR so echt an? Bei diesem Thema könnten dann beispielsweise Hirnforscher und Philosophen anwesend sein. Gemeinsam würde man dann durch ein virtuelles Gehirn laufen und anhand dessen könnten die Experten erklären, was dort passiert und warum sich virtuelle Welten für den Menschen so echt anfühlen. Es wäre interaktiv, weil man darüber diskutieren könnte. Aber auch weil die Nutzer die Dinge anfassen und anschauen können.

„Viele denken noch zu sehr in dem klassischen Sender-Empfänger-Prinzip“

Den großen Nutzen von VR sehen Sie also nicht in Reportagen und Nachrichten, sondern in interaktiven Gesprächsrunden?
Es gab schon Versuche, klassische Talk-Shows in VR zu machen. Das ist jedoch der klassische Fehler, dass man bei neuen Medien alte Formate einsetzt und gar nicht überlegt, ob das nützlich ist. Es muss darüber nachgedacht werden, wo die Vorteile der Immersion (das Eintauchen in die virtuelle Welt, Anm. d. Red.) gegenüber der Realität sind. Für den Nutzer sollte es sich um Erfahrungen handeln, die er im echten Leben nicht machen kann, zum Beispiel durch ein Gehirn laufen oder durch den Weltraum fliegen.

In Deutschland gibt es meines Wissens bislang keine Medienhäuser, die Social VR in irgendeiner Form nutzen.
Mir fällt da auch keins ein. Viele denken noch zu sehr in dem klassischen Sender-Empfänger-Prinzip. Ich bin der Auffassung, dass Social VR eine Möglichkeit ist, unsere Glaubwürdigkeitskrise zu lösen. Wenn man mit den Rezipienten wirklich in Kontakt kommt, mit ihnen redet und die Nutzer mitgestalten können. Das sollte für Medien gerade heutzutage ein relevanter Punkt sein.

Mit den Rezipienten können Redakteure doch auch in der analogen Welt in Kontakt kommen. Dazu braucht es doch keine aufwendig programmierte Social VR-App.
Aber nur, wenn alle am gleichen Ort sind. Bei VR ist der Vorteil, dass sich Leute aus aller Welt treffen können. Zumindest kann man sich in sehr großen Radien treffen, ohne dass man am selben realen Ort sein muss.

Während Ihrer Recherchen in Kuwait, Israel und den USA haben Sie mit vielen Leuten gesprochen. Unterscheidet sich deren Umgang mit VR von dem in Deutschland?
Das waren Leute, die ihr Sozialleben aus verschiedensten Gründen in die virtuelle Welt verlegt haben. Da habe ich gemerkt, dass man in VR ein echtes Sozialleben haben und glücklich sein kann. Eine hatte schwere Depressionen, ein anderer war schwer herzkrank. Sein Bewusstsein hat der Mann dann in Avatare, also virtuelle Identitäten, verlegt, die sich bewegen können und mit denen er andere Menschen treffen konnte. Ich habe ebenfalls mit Philip Rosedale, den Gründer von Second Life, gesprochen. Er träumt schon sein Leben lang davon, die Physik in die Computerwelt zu bringen und dreidimensionale Welten aufzubauen. Er ist natürlich weiter als viele Deutsche, was aber auch an seinem speziellen Hintergrund liegt.

Sie haben auch mit dem Philosophen Thomas Metzinger gesprochen. Er hat Sie gewarnt, dass Immersion eine Gefahr darstellen kann. Was meint er damit?
Weil man quasi in diesem virtuellen Körper lebt und er sich anfühlt wie der eigene. Gefährlich wird es auch dann, wenn diese für Folter oder andere Belästigungen missbraucht werden. Dass Frauen von Männern angetatscht werden, habe ich von einigen Interviewpartnerinnen gehört. Das ist mir bei einer meiner ersten Recherchen in Altspace auch direkt passiert. Da hat mir jemand an meine Brust gefasst. Du spürst es natürlich nicht wirklich, aber es fühlte sich erstaunlich echt an, als wäre dieser Avatar mein eigener Körper.

Welche Mechanismen wirken dabei auf neuropsychologischer Ebene?
Das Gehirn und das Bewusstsein ziehen gewissermaßen in diesen Avatar ein. Das klingt zwar abgefahren, aber wissenschaftliche Studien belegen dies. Es gibt das sogenannte Gummihand-Experiment, bei dem gezeigt wird, dass ein Proband einen Gummiarm als seinen eigenen Arm wahrnimmt. Mit Ganzkörper-Avataren funktioniert das ähnlich, unter anderem weil die Erfahrungen sich zu denen aus dem echten Leben so stark gleichen.

Ihre Prognose: In wie viel Jahren haben Menschen sowohl ein analoges als auch digitales Leben in Form eines Avatars?
Mit Prognosen tue ich mich sehr schwer. Aber der Second Life-Gründer sieht das schon in näherer Zukunft. Sprich dass die Wahl und der Wechsel zwischen verschiedenen Realitäten völlig normal wird. Er sagte, man wähle künftig zwischen den Welten und komme nur zurück, um zu essen und zu lieben.

„Bei VR ist der Vorteil, dass sich Leute aus aller Welt treffen können“

Aber wie stellen Sie sich die Nutzung der Technik in der Zukunft vor? Aktuell sind Menschen davon abgeschreckt, weil sie VR-Brillen nicht als alltagstauglich erweisen. Sie sind teuer und unhandlich. Ich denke da zum Beispiel an die HTC Vive.
In Tokio habe ich Forscher unter anderem zu VR befragt und wie sie auch auf kleinem Raum einsetzbar ist, beispielsweise in Flugzeugen.

Und wie kann das funktionieren?
Man könnte die Bewegungen in der virtuellen Welt anders steuern als man das aktuell tut: derzeit werden meist die echten Bewegungen getrackt und eins zu eins in VR übertragen. Man könnte seinen Avatar aber beispielsweise auch durch Kopf- oder Blickbewegungen steuern. Es muss auf jeden Fall intuitiv sein. Die Frage ist abgesehen davon aber auch, ob man VR in Flugzeugen überhaupt nutzen will.

Augmented Reality (AR), die kleine Schwester von VR, ist im Vergleich dazu alltagstauglicher und natürlicher zu nutzen. Einige Verlagshäuser wie die New York Times verwenden die Technik in ihren Projekten regelmäßig. Könnte die simple Nutzung der Grund sein, warum sich AR gegen VR durchsetzt?
Ich bin mir unsicher. Für den Alltag sehe ich tatsächlich nicht, dass Leute zum Beispiel mit einer VR-Brille im Flugzeug sitzen. Das funktioniert nicht. Da muss man dann AR nutzen, damit man die reale Welt weiterhin sieht. Wobei AR sich wohl eher in Richtung Business-Anwendungen entwickeln wird, zum Beispiel für Notärzte, Architekten und Bauingenieure. Da gibt es verschiedene, praktische Anwendungsbereiche.

 

Quelle:

http://meedia.de/2018/05/03/tech-journalistin-eva-wolfangel-virtual-reality-spielt-mit-der-empathie-der-nutzer/

 

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