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von Urszula Usakowska-Wolff

Urszula Usakowska-Wolff im Gespräch mit der Kuratorin Tina Sauerländer: „Digitale Medien werden analoge nicht verdrängen, aber es ist für viele Künstler*innen aus anderen Bereichen wie Malerei oder Skulptur spannend, mit Virtual Reality zu arbeiten. Denn dort gelten physikalische Gesetze nicht.“

Urszula Usakowska-Wolff: Tina, Du bist eine führende Expertin im Bereich der VR-Kunst. Wird die Corona-Krise, in der sich viele künstlerische Aktivitäten ins Internet verlagern, die Entwicklung dieser Kunst beschleunigen?

Tina Sauerländer: Die Krise beschleunigt die längst überfällige Digitalisierung auch in der Kunstbranche. Museen verstehen ihre Website nicht mehr nur als digitalen Flyer, sondern als Ort, an dem man mit Besucher*innen interagiert. Sie probieren neue Formate aus und bespielen Kanäle wie Instagram, Twitch oder ZOOM. Das ist toll! Die Vorteile digitaler Kommunikation – wie die schnelle Überbrückung von Distanzen – werden erkannt und geschätzt. Und auch in der digitalen Kunstszene kommt es zu Neuerungen. Die Laval Virtual Konferenz tagte dieses Jahr in einer virtuellen Welt, und auch die nächste Ausgabe des internationalen Festivals VRHAM! findet vom 4. bis 7. Juni 2020 ebenfalls gänzlich im virtuellen Raum statt. Mit peer to space haben wir eine neue Online-Screeningreihe ins Leben gerufen, in deren Rahmen das Pars Pro Toto im zweimonatigen Zyklus Videoarbeiten zeigt, die aus einer sehr persönlichen Perspektive über die Zusammenhänge von kulturellen, sozialen oder ökologischen Gegebenheiten und persönlichen Lebensbedingungen an verschiedenen Orten sprechen.

UUW: Apropos per to space: Du hast bereits vor zehn Jahren diese internationale Ausstellungsplattform ins Leben gerufen, um der damals noch in den Anfängen steckenden VR-Kunst einen Raum für Präsentationen zu geben. Wieso hast Du Dich als Kunsthistorikerin, die auch bayerische Kirchengeschichte studierte, auf dieses unbekannte Terrain begeben?

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Martina Menegon, plug your nose and try to hum, VR experience, 2017, © Martina Menegon, die Dokumentation der Arbeit ist auf RadianceVR.co zu finden

TS: Als Historikerin ist mein Verständnis von neuen Medien ein sehr bewusstes. Ich habe gelernt, wie es war, als Fotografie, Film oder Video neu waren und wie sie sich auf Dauer etabliert haben. Fotografie hat seit ihrer Erfindung über 60 Jahre gebraucht, um sich als künstlerisches Medium langsam durchzusetzen. Künstler*innen greifen stets die Medien ihrer Zeit auf und fangen an, damit zu arbeiten. Computerkunst gibt es seit Ende der 1950er Jahre, seit es Computer gibt. Internetkunst gibt es seit Beginn der 1990er Jahre, seit es das Internet gibt. Allerdings haben viele Künstler*innen auch schon Jahrzehnte vorher mit globalen Kommunikationsmöglichkeiten in ihren Arbeiten experimentiert. Ein spannendes Beispiel ist das Projekt Piazza Virtuale des Medienkunstkollektivs Van Gogh TV, die für das Rahmenprogramm der documenta 9 im Jahr 1992 ein Netzwerk mit Fernsehstationen in ganz West- und Osteuropa und in Japan aufgebaut haben und während der documenta jede Nacht mehrstündige Fernsehsendungen ausstrahlten, bei denen Menschen anrufen und live dabei sein konnten. Auch VR-Kunst erlebte eine erste Welle zu Beginn der 1990er Jahre. 1993 stellte Jenny Holzer zwei VR-Experiences in New Yorker Guggenheim Museum aus. Als ich 2010 damit begann, mich digitaler Kunst zu widmen, war diese nicht neu, aber bei weitem nicht strukturell eingebettet und etabliert. Die Museen, die Kunstgeschichtsfakultäten und die Kunstuniversitäten haben sehr spät angefangen, sich mit dem Medium auseinanderzusetzen. 2010 kuratierte das damalige Wiener Künstler*innenkollektiv VVORK, bestehend aus Oliver Laric, Aleksandra Domanović, Georg Schnitzer und Christoph Priglinger, unsere allererste peer to space-Ausstellung: Multiplex. Auf den großen Fenstern des Ausstellungsraumes projizierten sie digitale Bewegtbilder von 31 internationalen Künstler*innen, darunter Paul Chan, Agnieszka Polska, Rafaël Rozendaal oder Annika Larsson. Für mich war damals klar: Als Zeitzeugin des digitalen Wandels möchte ich aktiv am Geschehen teilnehmen und zur Etablierung der neuen Medien in der Kunst beitragen sowie dieses Wissen auch für zukünftige Generationen erhalten und bewahren.

UUW: Hast Du schon damals geahnt, dass sich die VR-Kunst in absehbarer Zukunft als ein genuines Kunstgenre etablieren wird?

TS: Im Jahr 2012 startete das US-amerikanische Technologieunternehmen Oculus eine Kickstarter-Kampagne für die Entwicklung eines neuen VR-Headsets. Nach vier Stunden erreichte sie das Ziel von 250.000 US-Dollar, und nach Ende der Monatsfrist fast 2,5 Millionen US-Dollar. Sie gilt als die erfolgreichste Kickstarter-Kampagne aller Zeiten. Sie führte dazu, dass weitere Investoren in das Medium investierten. Seit 2015 ist die neue Generation von VR-Headsets nun verfügbar und hat sich seitdem rasant weiterentwickelt. So erlebt auch VR-Kunst einen signifikanten Aufschwung. In den letzten Jahren zeigten Museen VR-Kunst, und Kunsthochschulen fingen an, entsprechende Studiengänge einzurichten. So bietet die Hochschule Darmstadt den Studiengang Experience and Narrative Design in Expanded Realities an. Zusammen mit Philip Hausmeier, der dort Professor ist, habe ich 2017 Radiance VR gegründet: Die internationale Rechercheplattform für VR-Kunst präsentiert Dokumentationen von über 120 VR-Experiences von internationalen Künstler*innen. Um der Geschichte gerecht zu werden, haben wir auch hier eine eigene Sektion über die Pionierarbeiten in der VR-Kunst in den 1980ern und 1990ern geschaffen.

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Ausstellungsansicht: Die ungerahmte Welt. Virtuelle Realität als künstlerisches Medium für das 21. Jahrhundert, Haus der elektronischen Künste Basel, 2017, Foto © Franz Wamhof

UUW: Wird sich unter dem Einfluss der VR-Kunst die analoge Kunst auch verändern? Können Kunstwerke im digitalen Raum ihre Sinnlichkeit entfalten, Emotionen und Gefühle des sie an den PC betrachtenden Publikums hervorrufen?

TS: VR-Kunstwerke betrachtet man mit einem Head-Mounted-Display, der sogenannten VR-Brille. Mithilfe von Controllern besteht zudem die Möglichkeit, mit den virtuellen Welten zu interagieren. Ein VR-Kunstwerk kann man so auch zu Hause auf dem eigenen VR-Headset ansehen. Eine Installation im Ausstellungsraum bietet die Möglichkeit, die VR-Arbeit in einen Kontext einzubetten und so zum Beispiel die Bedingungen des Physischen und des Virtuellen zu diskutieren, wie in der von mir kuratierten Ausstellung Die ungerahmte Welt am HeK – Haus der elektronischen Künste Basel im Jahr 2017. Natürlich können auch digitale Kunstwerke – auf einem Screen oder in der VR – die Emotionen und Sinne berühren oder zum Nachdenken anregen. Ein Gemälde ist auch nur ein zweidimensionaler Illusionsraum, genauso wie die Welt hinter dem Bildschirm, nur dass man mit letzterem auch noch interagieren kann. Digitale Medien werden analoge nicht verdrängen, aber es ist für viele Künstler*innen aus anderen Bereichen wie Malerei oder Skulptur spannend, mit Virtual Reality zu arbeiten. Denn dort gelten physikalische Gesetze nicht. So verändert oder erweitert Virtual Reality zum Beispiel das Verständnis von Skulptur, wenn Skulpturen in VR beispielsweise schweben und die Farbe und Form verändern, so wie in Mélodie Mousset´s Organ Island.

UUW: Wie ist die Stimmung unter den Künstlerinnen und Künstlern, zu denen Du Kontakt hast? Leidet ihre Kreativität unter der Corona-Krise, in der sie lange Zeit auf Ausstellungen und Einnahmen aus Verkäufen von Kunstwerken verzichten mussten?

TS: Für die Künstler*innen, die oftmals ohne Ersparnisse und Sicherheiten von der Hand in den Mund leben, ist es doppelt schwierig, weil nicht nur durch abgesagte Ausstellungen die Einkünfte aus dem Kunstverkauf wegfallen, sondern auch die freiberuflichen Nebentätigkeiten weggebrochen sind. Der Corona-Zuschuss, den der Bund für Soloselbständige und Freiberufler ausgezahlt hat, verhalf vielen über die anfängliche Existenzangst hinweg und hat sehr dazu beigetragen, dass ein produktives Arbeiten auch während der Quarantäne möglich war.

UUW: Du bist künstlerische Leiterin des VR KUNSTPREISes, der erstmalig am 5. Mai 2020 von der Deutschen Kreditbank AG (DKB) in Kooperation mit der Contemporary Arts Alliance Berlin (CAA Berlin) ausgeschrieben wurde. Was ist das Besondere an diesem Kunstpreis?

TS: Der VR KUNSTPREIS der DKB in Kooperation mit CAA Berlin ist der erste Kunstpreis für Virtual Reality im Bereich der bildenden Kunst mit institutioneller Ausstellung in Deutschland. Im Vordergrund steht die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Potenzial neuer Technologien sowie die Erkundung und kritische Reflektion ihrer Auswirkungen auf das Individuum und die Gesellschaft. Bis zum 30. Juni 2020 können sich in Deutschland lebende VR-Künstler*innen mit ihren Arbeiten bewerben. Ende August wählt unsere Expert*innenjury fünf Künstler*innen aus, die Arbeitsstipendien für jeweils vier Monate à 1.000 Euro erhalten und deren Werke ab dem 27. Februar 2021 in einer Ausstellung im Haus am Lützowplatz hier in Berlin zu sehen sein werden. Im Rahmen der Eröffnung werden drei VR KUNSTPREISE vergeben, die mit insgesamt 12.000 Euro dotiert sind. Der Preis soll zur strukturellen Etablierung des Mediums in der bildenden Kunst beitragen.

www.peertospace.eu
www.radiancevr.co
www.saloon-berlin.de
www.laval-virtual.com
www.vrham.de
vrkunst.dkb.de

Quelle:

https://www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=5381

Foto: Ausstellungsansicht: Die ungerahmte Welt. Virtuelle Realität als künstlerisches Medium für das 21. Jahrhundert, Haus der elektronischen Künste Basel, 2017, Installation: Li Alin, Enter Me Tonight, 2016, Foto © Franz Wamhof

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